Sicherheit

Stress lass nach - von der Wichtigkeit sozialer Unterstützung und Sicherheit

Soziale Interaktionen und der Aufbau einer sozialen Beziehung sind ausschlaggebend für ein gesundheitsförderndes Stressmanagement. Der Zusammenhang zwischen sozialen Interaktionen und Stressmanagement kann durch die Polyvagale Theorie von Porges erklärt werden.

Die Polyvagale Theorie beschreibt, dass die Reaktion auf Herausforderungen, vor allem im sozialen Kontext, geprägt ist durch unser evolutionär sehr altes autonomes Nervensystem (ANS). Das ANS kann durch positive soziale Erfahrungen zu Entspannung und dem Gefühl der Sicherheit führen. Porges erklärt, dass das ANS in drei Kreisläufe unterteilt werden kann, welche unterschiedlich alt sind und zu entsprechend unterschiedlichen Verhaltensreaktionen führen.

  • Der „neue“ parasympathische Zweig des Vagusnervs. Dieser ist evolutionsbiologisch der jüngste Teil, der bei Säugetieren vorkommt. Er ist beteiligt beim Emotionsausdruck und Sozialverhalten. Er spiegelt das sogenannte „Soziale Verbundenheitssystem“ wider, unterdrückt die beiden Stressachsen und fördert positives Sozialverhalten. Dies ist der Zustand, in dem es uns möglich ist, offen für soziale Interaktion und Beziehung zu sein, Emotionen bei anderen zu erkennen und entsprechend zu deuten und eigene Emotionen angemessen zu ergulieren.
  • Wenn es nicht ausreicht, freundlich und sozial zu sein, wird der nächstälteste Teil aktiviert, das sympathische Nervensystem, welches für die Adrenalinausschüttung zuständig ist. Dieses System initiiert die Kampf- oder Fluchtreaktion und führt somit zur Mobilisation. Hierzu kann jedoch auch das sogenannte Einfrieren mit hohem Muskeltonus und hoher Herzfrequenz gehören. Diesen Zustand benennen wir als „Kampf-Flucht Zustand“.
  • Sind Kampf, Flucht, oder Einfrieren nicht erfolgreich, geht es einen Schritt weiter runter auf der Leiter des ANS. Der „alte“-parasympathische Zweig des Vagusnervs ist der älteste Teil, welcher bereits bei Reptilien vorkommt. Hier kommt es zur Immobilisation bei Bedrohung, jedoch mit verringerter Herz- und Atemfrequenz. In diesem Zustand befindet sich die Person in einer Art Ohnmachtszustand, das kann in Form einer Dissoziation auftreten mit niedrigem Muskeltonus oder auch in Form tatsächlicher Ohnmacht. Diesen Zustand benennen wir hier „Totstell-Zustand“.
Polyvagaltheorie

Die Polyvagale Theorie wird durch viele Studien bestätigt. In sozialen Situationen zeigten Kinder, welche strafende und wenig unterstützende Eltern hatten, mehr Verhaltensauffälligkeiten und waren weniger entspannt, gemessen über physiologische Parameter. Diese Kinder befinden sich im chronischen Kampf- und Flucht-Zustand. Manche Kinder fallen sogar in Ohnmacht, hören auf zu sprechen, entziehen sich jeglicher Interaktion oder werden depressiv, sie befinden sich im Totstell-Zustand. Diese verschiedenen Zustände sind Anpassungen an die soziale Umwelt und können bereits früh in der Kindheit geprägt werden.

Jeder Mensch lebt grundsätzlich alle drei Zustände gelegentlich. So gehen Menschen vom sozialen Verbundenheitszustand zum Kampf- und Fluchtzustand, wenn z.B. der Partner nervt und ich mich über ihn ärger. Ich gelange in den Totstell-Zustand, wenn eine Trennung im Raum steht und der Alltag nicht bewältigbar wirkt, ich am liebsten nur noch schlafen möchte und niemanden sehen will. Dieser Zustand kann auch nur kurz anhalten. Ruft die beste Freundin an und tröstet mich, so besteht wieder der Wunsch nach Kontakt und sozialer Unterstützung – ich bin wieder in der sozialen Verbundenheit. Es gibt Menschen, die sich noch nie in ihrem Leben sicher gefühlt haben und den Zustand der sozialen Verbundenheit nicht kennen, für diese ist es besonders schwer zu vertrauen und sich zu öffnen. Chronisch traumatisierte Menschen befinden sich oft im Totstell-Zustand, akut traumatisierte hingegen häufig im Kampf-Flucht-Zustand.

Das autonome Nervensystem nimmt Reize von innen und außen wahr und bewertet, noch lange bevor ich mir dessen bewusst bin, ob Gefahr droht oder ich in Sicherheit bin. Die Umgebung wird somit eingeschätzt und einer dieser Zustände wird aktiviert, noch lange bevor das Gehirn dem Ganzen einen Sinn zuschreiben kann. Die Handlungen infolge der verschiedenen Zustände sind somit automatisch und liegen tief unter dem Radar des Bewusstseins. Ist der Kampf-Flucht-Zustand oder der Totstell-Zustand dominant, ist die Emotionsregulation eingeschränkt und das Verhalten kann nur mehr eingeschränkt reguliert werden. Auch Emotionen bei anderen können nicht mehr richtig gedeutet werden. Ein neutraler Gesichtsausdruck wird als wütend interpretiert, das Gehör stellt sich auf Gefahr ein, sodass positive Zusprache womöglich ausgeblendet wird und dafür tiefe Frequenzen, welche Gefahren widerspiegeln, im Vordergrund stehen. Für Menschen oder Tiere, die sich ständig in einer dieser beiden Zustände befinden, ist es schwer, soziale Unterstützung anzunehmen, denn sie wissen nicht, ob sie in Gefahr sind oder in Sicherheit. Es ist ihnen nicht möglich, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, und sie können daher auch nicht in einen offenen Kontakt mit anderen treten.

Die Autonome Leiter nach Dana 2018

Berater/Therapeuten/Pädagogen sind dafür verantwortlich, ihren eigenen autonomen Zustand zu regulieren, dies erfordert zuerst sich dessen bewusst zu sein in welchen Zustand ich selbst gerade bin. Denn um Sicherheit vermitteln zu können muss ich selbst sicher sein. Es ist wichtig, mit dem Klienten in Kontakt zu treten, Signale der Sicherheit anzubieten und sie in die Sicherheit der sozialen Verbundenheit einzuladen. Somit ist die Herstellung einer sicheren Umgebung nicht nur in Form von Räumlichkeiten, sondern vor allem durch entsprechende soziale Interaktionen, ein wesentlicher Faktor in der Arbeit mit Menschen und auch mit Tieren.

Im nächsten Beitrag bekommst Du einen Einblick in mögliche Stressmanagement Strategien.

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Literatur

Dana, D. (2018): Die Polyvagal-Theorie in der Therapie. Den Rhythmus der Regulation nutzen. 2. Auflage, Probst, Lichtenau.

Hastings, P. D. et al. (2008): Applying the polyvagal theory to children’s emotion regulation. Social context, socialization, and adjustment. In: Biological psychology, 79. Jg., Heft 3, S. 299–306.

Porges, S. W. (1995): Orienting in a defensive world. Mammalian modifications of our evolutionary heritage. A polyvagal theory. In: Psychophysiology, 32. Jg., Heft 4, S. 301–318.

Porges, S. W. (2001): The polyvagal theory. Phylogenetic substrates of a social nervous system. In: International Journal of Psychophysiology, 42. Jg., Heft 2, S. 123–146.

Porges, S. W. (2003): The polyvagal theory. Phylogenetic contributions to social behavior. In: Physiology & Behavior, 79. Jg., Heft 3, S. 503–513.

Alles Liebe und bis bald, Iris
Iris Schöberl

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