Die meisten von euch mögen Hunde – nehme ich einfach mal an. Viele dürften zudem einen oder mehrere der treuen Vierbeiner daheim haben. Und manche sind sogar Kynolog*innen. Das heißt, sie beschäftigen sich beruflich oder als Hobby mit der Zucht oder dem Training von Hunden. Das Fazit einer vor gut einem Jahr im weltweit führenden Wissenschaftsmagazin Science publizierten Studie wird bei euch also auf großes Interesse stoßen.
Es geht um das Verhalten von Hunden. Es geht um die moderne Hundezucht. Es geht letztlich aber auch um ganz allgemeine Erkenntnisse zur Vererbung von Persönlichkeit und Verhalten, die wichtig sind für Psychologie, Medizin oder Pädagogik und selbst Hundehasser ins Grübeln bringen dürften.
Die moderne Hunderassenzucht existiert seit 200 Jahren. Ihr verdanken wir so liebenswerte Geschöpfe wie den Beagle, den Labrador oder den Berner Sennenhund. Aber verdanken wir ihr auch so mehr oder weniger wunderbare Wesensmerkmale wie die Fähigkeit zum Familienhund, das aggressive Auftreten gewisser Hunde oder die aufmerksame Gespanntheit eines Deutsch Drahthaars? Nein. Nur neun Prozent der Verhaltensunterschiede zwischen den Hunderassen korrelieren mit Genvarianten, die typisch für die jeweilige Rasse sind.
Die meisten Genvarianten, die das Verhalten der Hunde zu prägen scheinen, kommen bei allen Rassen vor. Sie haben sich in den Jahrtausenden durchgesetzt, während der Vorfahre des heutigen Wolfs zum Hund wurde und vom Menschen gezielt für verschiedene Eigenschaften wie das Jagen, Hüten oder Bewachen eingesetzt wurde – lange vor der Rassezucht. Die Eigenschaften eines Hundes, die statistisch am deutlichsten mit seinem Wesen korrelieren, sind – völlig unabhängig von der Rasse – sein Alter und Geschlecht.
Und natürlich gibt es auch rassetypische Verhaltensweisen. Diese finden sich aber kaum in der rassetypischen Genetik wieder, sondern müssen andere Ursachen haben, beispielsweise in den immer gleichen Aufzucht- und Trainingsbedingungen. Oder auch in der Epigenetik. Das ist die große Überraschung der neuen Studien.
Ohnehin ist „selbst ein Chihuahua genetisch gesehen ein Wolf“, sagt die Genetikerin Violeta Munoz-Fuentes vom Frankfurter Senckenberg-Institut. Das liegt daran, dass wesentliche Hunde-Merkmale zu komplex sind, um den klassischen Regeln der Genetik zu gehorchen.
Allen voran die Persönlichkeit oder das Verhalten beziehungsweise das so genannte Wesen der Hunde. Diese Merkmale werden anders als Körperbau, Schnauzenform und Fellfarbe nicht von wenigen Genen gesteuert, sondern vom systemischen Zusammenspiel tausender Gene, auf deren Aktivität wiederum die Umwelt und die Vergangenheit via Epigenetik und anderen Genregulationsfaktoren einen deutlichen Einfluss hat.
Hundezucht greift aber nur darauf zu, welche Genvarianten vererbt werden und welche nicht. Ist ein Merkmal aber gar nicht auf einige wenige Genvarianten zurückzuführen, sondern auf ein hochkomplexes Interaktionsmuster von vielen Genen in vielen Zellen und Organen mit Umwelt- und Lebensstilfaktoren, die bis in die eigene Welpenzeit oder sogar in die Zeit im Mutterleib und die Kindheit der Elterntiere zurückreicht, dann ist die die klassische Hundezucht, die versucht, einzelne Genvarianten zu betonen und andere zurückzudrängen, aufgeschmissen.
Auch wenn es vielen schwer fallen dürfte, es zu akzeptieren, aber die Wissenschaft legt es nahe: Dass Hunde verschiedener Rassen ein so verschiedenes Wesen haben, liegt daran, was sie vom Muttertier, anderen Hunden, den Züchter*innen, Halter*innen und Trainer*innen lernen. Die epigenetische Vererbung mag auch noch ein Wörtchen mitreden. Aber die rassebezogene Genetik tut es kaum.
Das heißt aber auch: Der Wesenstest des Hundes, den viele Zuchtverbände vorschreiben, ist zumindest für die Zucht nicht so wichtig, wie bisher angenommen. Fällt ein Hund beim Wesenstest durch, muss er nicht wie derzeit oft befohlen aus der Zucht genommen werden. Es sollten allenfalls die Zuchtbedingungen überprüft werden. Es besteht zunächst kein Anlass, auf die Genvarianten dieses Tiers im Genpool der Rasse zu verzichten. Durch Veränderungen im Umfeld, kann sich auch das Verhalten des Tieres ändern und der Wesenstest zu einem anderen Zeitpunkt völlig anders ausgehen. Das ist eine wichtige Botschaft, denn viele Rassen leiden darunter, dass ihre genetische Vielfalt immer kleiner wird und genetische Krankheiten dadurch häufiger.
Bei meinen Veranstaltungen zur Epigenetik für Kynolog*innen geht es schon seit vielen Jahren um dieses Thema. Die Erkenntnisse der Epigenetik haben diese Schlüsse nahegelegt, aber erst die neue Studie in Science zeigt, dass die Theorie tatsächlich stimmt. Das ist ein Meilenstein, der sich natürlich auch auf die Vererbung der Psyche anderer Tiere und des Menschen übertragen lässt.
Am Rande meiner Workshops, egal ob in der Schweiz, in Tschechien, Österreich oder Deutschland, gab es die immer gleichen Kommentare: „Wir sollten eigentlich den Charakter der Züchter prüfen und nicht das Wesen der Hunde“, sagten progressive Mitglieder von Zuchtverbänden. Ich hoffe, mit meinen Vorträgen und Workshops noch viel mehr zu erreichen.
Und wie erwähnt: Das Thema ist nicht nur für Hundefreunde interessant, denn wenn der Chihuahua noch ein Wolf ist, dann sind wir auch nicht so weit von ihm entfernt.
Ihr Dr. Peter Spork
Link zur Science-Studie: https://www.science.org/doi/10.1126/science.abk0639
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